Kunst, Werkstatt und Atelier

Wie ich das verstehe, was man “Kunst” nennt. Und was man daraus lernen kann.

Dies ist auch die Geschichte hinter einem Raum, der für mich ein ganzer Kosmos wurde. Denn Raum, Zeit und Materie sind ständig im Austausch – ohne einen Freiraum im Terminkalender und in den eigenen oder fremden 4 Wänden ist ein potentielles Kunstwerk nur eine Idee und ein Haufen lose Materie. Meine intensive Beschäftigung mit physischer Kunst begann, als ich die Chance bekam, einen Werkstattraum von 20 qm Grundfläche anzumieten. Da ich schon als Kind immer am Basteln war und darin bis heute nur besser wurde, habe ich schon immer eine Ecke der Garage, des Kellers oder meines Schreibtisches genutzt, um meine Ideen in die materielle Realität zu befördern. Doch es ist ein Unterschied, den ich nicht für möglich gehalten hätte: Wenn man einen Raum hat, der nicht für eine andere Art der Nutzung vorgesehen hat, explodieren die Möglichkeiten plötzlich!

Man kann Sachen so lange lagern, bis man sie nutzt (oder wegwirft) und sie stören nicht, sondern sind das Material, aus dem die Dinge entstehen, die als Ideen angefangen haben.

Ich kann sagen, dass es ein großartiges Gefühl ist, in einen Raum voller Spielzeuge zu kommen und Zeit zum Spielen mitgebracht zu haben – die Freude an der eigenen Fantasie und dem Erschaffen ist eine der wertvollen Geisteshaltungen.
Das ist also die Grundlage der Interaktion mit meiner Werkstatt (1). Gerade die Kombination aus einer bunten Ansammlung von Werkzeugen und Rohmaterialien und der Möglichkeit, laut zu sein und auch mal etwas dreckig machen zu können (2) – das ist eine beinah unbeschreibliche Art künstlerisch-spielerischer Freiheit.

Es ist auch die Möglichkeit, eigene Ideen aus den nicht ganz 0.0014 Kubikmetern des eigenen Schädels in die materielle Welt hinaus bewegen zu können. Oftmals sammle ich die Ideen bevor ich in die Werkstatt komme und habe einen groben oder sehr genauen Plan davon, was ich schaffen will. Doch die Räumlichkeiten haben auch eine ganz eigene Energie, Anforderungen und einen nicht zu vernachlässigenden Einfluss:
Weil a) der Werkraum auch meist ein erster Ausstellungs- bzw. Präsentationsraum ist, b) ich meine Rohmaterialien stets vor dem Abgleiten in Unordnung bewahren muss & c) eine stetige Optimierung der Beleuchtung, Beschallung und Benutzung einfach notwendig ist, verbringe ich auch einen guten Teil meiner Werkzeit mit Basteln nicht in den Räumen, sondern an den Räumen.

Doch was macht die Werkstatt so besonders? Wieso kann dergleichen nicht auch im Kellerabteil entstehen, im Innenhof oder in einer Gemeinschaftswerkstatt? Diese Frage ist recht einfach zu beantworten, denn auch wenn ich nur selten mehr als 4-5 Quadratmeter gleichzeitig nutze, sind die Flächen zum Abstellen, Lagern und das vorhandene Material eine Hilfestellung. Denn wenn ich kreativ arbeite, möchte ich mich nicht daran stören, gewisse Sachen nicht zur Hand oder keinen Platz zum Vorbereiten der nächsten Schritte zu haben. Die räumliche Aufteilung bietet eben auch die Möglichkeit, ein Projekt auch zeitlich versetzt in verschiedenen Schritten zu bearbeiten oder nur dann weiter zu machen, wenn man wirklich Lust/Inspiration/Muße hat.

Denn letztlich habe ich die glorreiche Freiheit, meine Kunst nicht unter dem Zwang einer Marktfähigkeit zu erschaffen – ich darf es mir erlauben, zu sagen: “Meiner Kunst ist es scheißegal, ob sie euch gefällt!”

Dabei ist gerade die derbe Sprache wichtig, denn Kunst ist nicht genuin institutionell, repräsentativ, hierarchisch, bieder, konservativ oder elitär. Kunst ist so alltäglich wie dein Teller, dein Schlüsselanhänger oder das Blumenbeet in deiner Nachbarschaft. Kunst möchte nicht in einem Keller verstauben, sondern zusammen mit uns leben oder sterben. Denn Kunst muss auch sterben können – wenn niemand mehr den Wert einer bemalten Leinwand, eines geschnitzten Holzstückes oder einer gebogenen Metallstange erkennt, dann stirbt die Idee des Materials und damit das Kunstwerk.(3)

Jetzt ist auch beinah der Zeitpunkt dieses Textes gekommen, sich als handfeste, programmatische Erklärung zu manifestieren – aber ein Manifest will diese übersichtliche, strukturlose Sammlung von Ideen dann doch nicht sein. Vielleicht eher eine autobiographische Darstellung meiner Kunst mit manifesken Passagen. Denn ein Manifest müsste eigentlich viel praktischer und übersichtlicher gestaltet sein. In etwa so:

Die lebendige Kunst ist schon immer Teil der menschlichen Gesellschaft gewesen.
Die Kunst ist lebendige Dimension im menschlichen Schaffen, in der Wahrnehmung und im Erinnern; sie ist ebenso vielfältig wie das Schaffen, Wahrnehmen und Erinnern jeder einzelnen Person. Einzig ihre Unabhängigkeit von natürlichen Vorbildern zeichnet sie aus.
Weil die lebendige Kunst zwar nicht Teil der Natur ist, jedoch symbiotisch mit der Menschheit lebt, kann man ihr zugestehen, ein Erlebnis zu vermitteln, welches über die physische Existenz hinausgeht – im Kern ist die lebendige Kunst also das Bindeglied zwischen realem Mensch und der Idealfigur des zivilisierten Lebewesens “Menschheit”.
Wenn wir lebendige Kunst als Teil unserer Existenz anerkennen, werden wir nicht weiter untote Bilder, Skulpturen und Gebäude um uns haben, sondern diese Materie als wertfrei eine neuen Bestimmung zuführen können.
Letztlich führt all dies zu der Frage: “Wie groß ist das menschliche Gedächtnis und was wird vergessen?” – denn niemand hat die Kapazität, alle unbeachteten Kunstwerke, die kurz vor dem Ableben sind, zu erhalten.
Auf eine radikale Aussage verkürzt: “Kunstwerke als lebendige Teile der Menschheit können und werden sterben – nicht nur die materielle Fassung, sondern die Idee selbst.”
Diese Vitalität/Sterblichkeit sollte man stets bedenken, nutzen und von der Kunst einfordern.

Alles zuvor Aufgeführte ist wie schon erwähnt kein Manifest und für die Kunst als Ganzes belanglos, denn letztlich kümmert es ein Kunstwerk nicht die Bohne & vielen Menschen wird es auch durch seinen fehlenden Bezug zum Alltag am Arsch vorbei gehen.

Also zu guter Letzt wieder zurück zu interessanter erscheinenden Themen – wie sich diese Werkstatt anfühlt, benutzen lässt und was es mit mir macht:
Das Gefühl von Freiheit in der Umsetzung von Ideen hatte ich oben schon erwähnt. Dazu gesellt sich die Möglichkeit, über den Alltag hinaus in einer organisch gewachsenen aber völlig autark gestalteten Umwelt zu wirken – ein Spielplatz für den Alfred. Und ist es dann auch eine Verbindung zu Hannover und seinen Menschen, von denen mir einige sehr ans Herz gewachsen sind.
„Werkstatt“ heißt für mich, die Welt anders wahrnehmen zu können, denn sie ist gestaltbar, veränderbar und auf das Zusammenspiel von Geist & Materie begründet.

Endnoten:
(1) Ich sage immer „Werkstatt“ denn „Werkstatt & Atelier“ ist sprachlich nicht gerade einfach zu behandeln: Braucht es einen weiblichen Artikel, weil die Werkstatt voran steht und vielleicht stärker íns Gewicht fallen möchte? Oder nutzt man die sächliche Form, da “Atelier” geschlechtslos ist?

(2) Wo gehobelt wird, fliegen Späne; wo gemalt wird, stinken Farben; wo gelötet wird, duftet es nach Elektronik!

(3) Im Umkehrschluss bedeutet dies natürlich auch, dass meiner Ansicht nach eine Idee in Material ausgeführt auch mit gleichem Material erneut ausgeführt dasselbe Kunstwerk ist. Nun schreit Walter Benjamin aus dem letzten Jahrhundert uns zu: “Und was ist mit der Aura, der unveränderlichen Seele eines einzigartigen, organisch geschaffenen, unveränderlichen Kunstwerks?” Mag er in seiner Zeit schreien und uns heute noch Gedankenanstöße geben; doch konnte er nicht aus der Antike heraus denkend & zu Beginn des Zeitalters der technischen Reproduktion erahnen, wie sehr sich die Kunst aus der Welt der materiellen Gestaltung fortbewegen würde. Benjamin hätte vielleicht bei den Dadaistinnen erahnen können, wie Medienkunst im 21. Jahrhundert funktioniert. Aber dazu hätte er sich ein wenig mehr Lebenszeit und Erfahrung erkämpfen müssen.

Ein paar bildliche Eindrücke & Fakten sind hier zu sehen.

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